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Die massiven Überschwemmungen in Pakistan im Jahr 2022 waren hierzulande kaum eine Schlagzeile wert. (Foto: medico)

Was heißt Hinsehen?

30.06.2025

Über die Rolle der Medien beim Verschwindenlassen der Welt. Von Andrea Böhm

„Wenn ich groß bin, gehe ich auf die Golanhöhen.“ Das habe ich mal im Alter von sechs oder sieben Jahren auf die Frage gesagt, was ich werden will. Meine Eltern hatten kurz zuvor einen Fernseher gekauft. So kam die Welt in unser Wohnzimmer, darunter auch der Sechstage-krieg und ich muss wohl mit besonderer Begeisterung auf den damaligen ARD-Korrespondenten in Israel, Edmund Gruber, geschaut haben. Mich hat am meisten sein Khaki-Hemd beeindruckt und der Umstand, dass er in einer Gegend vor der Kamera stand, die sehr weit weg von Deutschland war – und sehr viel aufregender. Als Journalistin trennt mich heute einiges von Grubers Berichterstattung. Aber offensichtlich war er es, der mir eine Faszination für Auslandsjournalismus eingeimpft hat.

Ich bin jetzt seit über 30 Jahren Auslandsreporterin. Auf den Golanhöhen bin ich nie gewesen – trotz fünf Jahren als Nahost-Korrespondentin in Beirut. Ich war erst lange als Reporterin in den USA, dann viel in Subsahara-Afrika unterwegs. Nach fünf Jahren im Nahen Osten berichte ich heute wieder viel aus afrikanischen Staaten. Wenn Sie mich fragen, wie es mir in meinem Beruf geht, kann ich nur sagen: Ich bin abwechselnd rat- und fassungslos.

Noch nie war das globale Geschehen so allgegenwärtig wie bedeutungslos, heißt es in der Ankündigung der medico-Stiftung zu diesem Symposium. Ich fürchte, ich muss dem auch und gerade aus der Sicht meiner Branche zustimmen. Globale Zusammenhänge zu erklären, Bilder und Krisenschlagzeilen in einen Kontext zu setzen, Klischees zu vermeiden, die Bereitschaft zu Empathie zu fördern, die eigene Perspektive zu wechseln, ist die Kernaufgabe einer guten internationalen Berichterstattung. Und der kommen wir weniger denn je nach. Was nicht heißt, dass es keine Auslandsberichterstattung gibt. Derzeit schwimmen wir in Nachrichten, Videos, Analysen und Kommentaren über Donald Trump, etwas abgeschlagen folgen die Ukraine und Gaza. Bevor ich darüber spreche, was es heute heißt, hinzusehen, möchte ich drei für mich prägende journalistische Ereignisse nennen. In allen war das Hinsehen in einer wissen wollenden und empathischen Weise sehr wohl möglich. Anfangs geschah es auch. Dann mündete die Berichterstattung in das Verschwindenlassen einer Welt.

Das erste Beispiel ist der mediale Umgang mit dem „Islamischen Staat“ zu der Zeit, als er in Syrien und dem Irak ein sogenanntes Kalifat errichtet hatte. Der IS hatte binnen weniger Monate in den westlichen Medien und bei den politischen Entscheidungsträger:innen die Rolle des apokalyptischen Reiters eingenommen: Blutrünstige Steinzeitislamisten, die schwarz gekleidete Antithese zur westlichen liberalen Demokratie. Ich war damals Nahostkorrespondentin in Beirut. Die Stadt war ein Hub für syrische Oppositionelle, die als „citizen journalists“ die Verbrechen des Assad-Regimes dokumentierten. Sie erfuhren anfangs viel Unterstützung aus Europa, bekamen Kameras und Laptops und Mikrofone gespendet. „Dokumentiert die Gräueltaten. Wenn die Welt diese Bilder sieht, wird sie eingreifen“, lautete die Botschaft.

Nach der Ausrufung des „Kalifats“ 2014 erlebten die Bürgerjournalist:innen, wie der IS die Bilderregie übernahm. Mit professionell gemachten Videos von Exekutionen westlicher Geiseln, von Kämpfen an der Front und vom „aufrechten“ Leben im „Kalifat“ schufen sie einen medialen Sog. Ich verharmlose nicht die Brutalität des IS. Doch ich konnte verstehen, warum syrische Freunde auf westliche Medien immer wütender wurden, weil die sich nun voll auf den visuellen Horror des IS konzentrierten. Die Komplexität des Krieges in Syrien wurde mit dem simplen Narrativ vom „absolut Bösen“ zugedeckt, Recherchen über Hintergründe wurden verdrängt. Und immer weniger Kolleg:innen berichteten darüber, dass das Assad-Regime um ein Vielfaches mehr Zivilist:Innen ermordete als der IS. Anstelle einer international abgestimmten Strategie zum Schutz der syrischen Zivilbevölkerung gab es eine US-geführte Militärkoalition im Framing des „war on terror“, die das „Kalifat“ schließlich zerschlug. Für viele syrische Oppositionelle war die Botschaft klar: Die Bilder einiger westlicher Geiseln reichten aus, um in Europa und den USA den öffentlichen Rückhalt für ein Eingreifen zu schaffen. Die Bilder über Fass-bomben und Belagerungsringe des Regimes gegen oppositionelle Städte mit Tausenden von Toten reichten nicht.

Im Rückblick hat der IS damals eine Medienstrategie betrieben, die man heute unter dem Motto „flooding the zone with shit“ kennt. Der Ausdruck stammt von Steve Bannon, einem der Dirigenten der rechtsextremen Machtübernahme in den USA. Nicht, dass Bannon sich nachsagen lassen möchte, irgendetwas mit Islamisten gemein zu haben. Doch die Taktik, Medien und Öffentlichkeiten in einen dauerhaften Zustand von Schock und Hyperventilation zu versetzen, ist dieselbe. In beiden Fällen waren und sind Medien nicht in der Lage, sich dieser Strategie zu entziehen.

Das zweite Beispiel ist das Thema Flucht und Migration. Vielleicht erinnern Sie sich noch an das Foto der Leiche des zweijährigen Alan Kur-di, dem syrischen Jungen, der im September 2015 beim Fluchtversuch seiner Familie über das Mittelmeer ertrank und an einem Strand in der Türkei angespült wurde. Die BILD-Zeitung druckte das Foto auf einer ganzen Seite ab und schrieb: „Bilder wie dieses sind schändlich alltäglich geworden. Wir ertragen sie nicht mehr, aber wir wollen, wir müssen sie zeigen, denn sie dokumentieren das historische Versagen unserer Zivilisation in dieser Flüchtlingskrise.“ Ein gutes Jahr später hat dieselbe Zeitung anlässlich der sogenannten Kölner Silvesternacht einen medialen Backlash gegen Flüchtlinge und Migranten mitangeschoben, der zu einer politischen Spirale der Ausgrenzung und Entmenschlichung von Migranten und Flüchtlingen beigetragen hat. Binnen weniger Monate war der Diskurs von Empathie in Abwehr gekippt.

Ich lebte und arbeitete in Beirut, als der große Treck hauptsächlich syrischer Flüchtlinge über die Balkan-Route in Deutschland ankam. Ich war stolz auf mein Land, damals auch auf dessen Kanzlerin, das die Menschen aufnahm. Mir war mulmig, als ich die Bilder von „Welcome Refugees-Partys“ an deutschen Bahnhöfen sah. Ich finde, dass man Menschen, die Krieg und Flucht hinter sich haben, nicht feiern sollte, als hätten sie die Hunger Games gewonnen. Es gab damals großartige, nuancierte Reportagen über die Hintergründe dieser Fluchtbewegung. Den Ton bestimmte jedoch eine emotionalisierte Berichterstattung, die mir zu sehr nach Begeisterung über die eigene demonstrative Willkommenskultur klang. Und zu sehr wie eine Botschaft an jenen Teil der Gesellschaft und der Politik, der eine Abschottungspolitik forderte. Nicht, dass man mit Botschaften in diesem Zusammenhang sparen sollte. Nur ist es gefährlich, sie Menschen anzuheften, die sich nicht wehren können, wenn der politische Wind sich dreht.

Ich weiß, dass der Backlash gegen Flüchtlinge und Migrant:innen nicht durch „Refugees Welcome-Partys“ und die Berichterstattung darüber ausgelöst wurde. Er hat seine Ursachen in Islamophobie, Rassismus und dem Versagen der Europäischen Union, eine gerechtere Verteilung von Flüchtlingen durchzusetzen. Aber vielleicht wäre es progressiven Medien leichter gefallen, diesem Backlash etwas entgegenzusetzen, wenn sie das Thema vorher nicht selbst so sehr emotionalisiert hätten.

Das dritte Beispiel ist die Berichterstattung über die Corona-Pandemie. Ich bin immer wieder verblüfft darüber, wie sehr dieses globale Erdbeben in meinem Gedächtnis schon verblasst ist, und wie massiv es in Ländern des globalen Südens noch präsent ist. Ich habe in meinem Berufsleben nie eine Krise erlebt, in der ein anfänglich erstaunliches Bewusstsein über globale Zusammenhänge – Artensterben, Mobilität, Handelsketten, ökonomische Folgen von Lockdowns, die Notwendigkeit multilateralen Handelns – so schnell in den nationalistischen Orkus gekippt wurde. Und zwar ziemlich genau in dem Moment, da Impfstoffe zur Verfügung standen und Länder des globalen Nordens die Vorräte leerkauften. Der Globale Süden verschwand buchstäblich von der Bildfläche – und damit auch das Hinsehen auf die Folgen weltweiter Lockdowns für dessen Gesellschaften. Klar, Auslandsjournalist:innen

konnten nicht mehr reisen. Nur: Hätten wir vorher mehr Energie und Geld in internationale Journalismus-Netzwerke investiert, hätten Kolleg:innen in Ghana, Indien oder Ecuador unsere – und wir ihre – blinden Flecken füllen können. Vielleicht gäbe es heute ein größeres globales „Sende- und Hinsehbewusstein“. Das hat in den vergangenen Jahrzehnten nur der Fernsehsender Al Jazeera vorangetrieben – mit all den Lücken und Problemen, die es mit sich bringt, wenn man von einem autoritären Golfstaat finanziert wird.

Wir befinden uns 2025 in einer Ära, die in den USA „the war on empathy“ genannt wird. Empathie sei die Geißel schlechthin der westlichen Zivilisation, hat unter anderem Elon Musk erklärt. Sie sei durch woke Linke zu einer „Waffe“ gemacht worden. Wenn Sie sich einen Lektüre-Trip durch diese Gedankenwelt zumuten wollen, dann werden Sie von „toxischer Empathie“, von „satanischer Empathie“ und von der „Sünde der Empathie“ lesen. Das sind einige der Buchtitel zu diesem Thema, die derzeit das rechtsextreme und – wohlgemerkt – christliche Spektrum in den USA bedienen.

„Der Krieg gegen Empathie“ ist ein Code für das, was der Soziologe Stephan Lessenich als „Externalisierung“ beschrieben hat. Wir in den reichen westlichen Gesellschaften lagern die Kosten unseres Wohlstands seit jeher aus – sei es Giftmüll, Umweltzerstörung, die Folgen von CO2-Emissionen. Wir externalisieren durch Verdrängung auch die Art und Weise, wie unser Wohlstand zustande gekommen ist und erhalten wird: zunächst durch den massenmörderischen Raub der Kolonialmächte und jetzt durch die Ausbeutung von Ressourcen ärmerer Länder, die immer weniger Mittel haben, sich gegen die Folgen dieser Ausbeutung zu schützen. Dass inzwischen auch Staaten wie China und arabische Petro-Monarchien Mitglieder in unserem Club sind, ändert nichts an seiner Funktionsweise.

Nur wird dieses Nicht-wissen-Wollen zunehmend schwierig. Zum einen, weil die Folgen der Externalisierung immer öfter in reichen Ländern zu spüren sind, von der Ahrtal-Flut bis zu den Waldbränden in Los Angeles. Zum anderen, weil Emanzipationsbewegungen in den vergangenen Jahrzehnten das Verdrängen immer stärker stören – zum Beispiel, indem sie die Geschichte der Sklaverei freilegen. Donald Trump ist dem mit einem radikal einfachen und gewalttätigen Angebot begegnet: „Wählt mich, und ihr müsst über historisches Unrecht, Rassismus, Fluchtursachen und die Folgen unserer Lebens- und Konsumweise nicht weiter nachdenken. Ich erkläre sie einfach für nicht existent. Und jeden, der widerspricht, erkläre ich zum Feind.“ Die Zerschlagung von USAID, die Abertausende das Leben kosten wird, war in dieser Logik absolut folgerichtig. Die systematische Entmenschlichung von Migrant:innen und Flüchtlingen ist es auch.

Es ist aus europäischer Sicht verführerisch einfach, Trumps Politik zu geißeln. Es ist auch heuchlerisch. Denn diesen „Krieg gegen die Empathie“ führt Europa längst selbst. Seit Jahren sterben Flüchtlinge in den polnischen Wäldern an der Grenze zu Belarus, von den Ertrunkenen im Mittelmeer ganz zu schweigen. Die Empörung über das Bild eines zweijährigen toten Flüchtlingskindes wäre heute kaum noch messbar. In Europa gilt das Narrativ der migrantischen Bedrohung und das politische Primat der Migrationsabwehr. Das setzt voraus, das globale Geschehen immer weiter auszublenden.

Wenn Sie mich nun fragen, was Hinsehen für eine Journalistin heute heißt, dann erscheint Ihnen meine Antwort vielleicht banal. Aber: Menschenfeindliche Narrative kann man ändern. Man muss es gerade dann versuchen, wenn so schnell kein Politikwechsel absehbar ist. Denn es gibt in diesem Land wie auch in Europa eine erhebliche Zahl von Menschen, die sich einem „Krieg gegen die Empathie“ verweigern. Sie sind keine kleine Minderheit, auch wenn das heutzutage gern behauptet wird. Sie sind eine wichtige Öffentlichkeit, für die das globale Geschehen nicht bedeutungslos ist. Und sie sind angewiesen auf einen Journalismus, der das globale Geschehen wieder bedeutungsvoll macht. Auch und mehr denn je mit Journalist:innen aus dem globalen Süden.

Dieser Beitrag erschien zuerst im medico rundschreiben 02/2025.

Fragen zum Fall

Es geht in dem Fall um Gerechtigkeit für die 43 Bäuer:innen. Sie verlangen finanzielle Entschädigung für die konkreten Schäden, die sie erlitten haben. Die Verwüstungen infolge der Überschwemmungen in Pakistan 2022 sind ein dramatisches Beispiel für das Ausmaß, das klimabedingte Schäden für die Einzelnen und die Gesellschaft darstellen. Die Schadenersatzforderung der Bäuer:innen aus Pakistan macht die Perspektive der am meisten von der Klimakrise betroffenen Menschen sichtbar und bringt ihren Kampf für Gerechtigkeit nach Deutschland, zu den Verursachern.

Sie fordern eine Anerkennung und Kompensation ihrer klimabedingten Verluste und die rechtliche Feststellung der Verantwortlichkeit von RWE und Heidelberg Materials für die Schäden. Sie bringen eine weitere, wichtige Perspektive in die weltweiten Bemühungen um Klimagerechtigkeit. Große Emittenten müssen Verantwortung übernehmen für die Folgen der von ihnen verursachten Schäden im Zuge der Klimakrise.

Die Forderung richtet sich gegen RWE, einen der größten Stromerzeuger Europas, und Heidelberg Materials, einen der größten Zementhersteller weltweit.

Der Begriff „Carbon Majors” bezieht sich auf Unternehmen, die erheblich zur Klimakrise beigetragen haben. Der Begriff wurde durch Studien des Climate Accountability Institute geprägt, die ergaben, dass etwas mehr als 100 Unternehmen für fast 70 Prozent der weltweiten historischen industriellen Treibhausgasemissionen verantwortlich sind. RWE und Heidelberg Materials sind zwei davon. Als Carbon Majors sind sie für einen erheblichen Anteil der weltweiten industriellen Treibhausgasemissionen verantwortlich.

Historisch betrachtet zählen beide Unternehmen zu den weltweit größten CO₂-Emittenten und Umweltverschmutzern mit Hauptsitz und bedeutenden Geschäftstätigkeit in Deutschland. Die neuesten Studien, die die Carbon-Majors-Methodik verwenden, zeigen, dass RWE für mindestens 0,68 Prozent und Heidelberg Materials für 0,12 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen seit 1965 verantwortlich ist.

Bislang konnten sich große Unternehmen, die erhebliche Emissionen verursachen, einer echten Rechenschaftspflicht entziehen. Die einzige Möglichkeit, um sicherzustellen, dass diejenigen, die maßgeblich zur Krise beigetragen haben, ihren gerechten Anteil an den Kosten tragen, anstatt diese vollständig den betroffenen Gemeinden aufzubürden, ist, sie vor Gericht zur Verantwortung zu ziehen.

Die grundsätzliche Möglichkeit der Haftung von Unternehmen für klimabedingte Schäden im Ausland hatte im Mai 2025 bereits der peruanische Bergbauer Luciano Lluiya im Verfahren vor dem Oberlandesgericht Hamm erstritten (alle Unterlagen hier: Bahnbrechendes Urteil in der Klimaklage gegen RWE | Germanwatch e.V.). Nun fordern Bäuer:innen aus Pakistan erstmalig Schadensersatz ein.

Alle betroffenen Bäuer:innen stammen aus der Provinz Sindh, der Region im Süden Pakistans, die am stärksten von den beispiellosen Überschwemmungen des Jahres 2022 betroffen war. Sie leben in drei verschiedenen Bezirken: Jacobabad, Dadu und Larkana. Sie leben von den Ernten, die sie auf ihren kleinen Parzellen erwirtschaften und kämpfen um ihre Unabhängigkeit von Großgrundbesitzern und Landwirtschaftskonzernen. Seit Jahren sind sie Wetterveränderungen und der Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen durch den Klimawandel ausgesetzt.

Die 43 Bäuer:innen, die Schadenersatz von RWE und Heidelberg Materials fordern, werden von 10.000 Bäuer:innen aus ihren Dorfgemeinschaften unterstützt. Ihr Kampf für Klimagerechtigkeit verdeutlicht die Situation von 33 Millionen von der Flutkatastrophe 2022 Betroffenen in Pakistan sowie vieler weiteren Gemeinschaften, die weltweit jetzt schon von der Klimakrise betroffen sind.

Nicht nur die 43 Bäuer:innen in Pakistan fordern, dass RWE und Heidelberg Materials Verantwortung für ihren Anteil am entstandenen Schaden übernehmen. Über 10.000 Menschen in ihren Dörfern stehen hinter ihnen. Vor Ort werden sie von der sozialmedizinischen Hilfsorganisation HANDS Welfare Foundation und dem Gewerkschaftsverband NTUF unterstützt. Die National Trade Union Federation (NTUF) stärkt Bäuer:innen in Konflikten um Land- und Arbeitsrechte. HANDS Welfare Foundation arbeitet in den Gemeinden im ländlichen Sindh an der Umstellung auf klimaangepasste Landwirtschaft und unterstützt dörfliche Selbstorganisierung.

Seit Jahrzehnten arbeiten beide Organisationen, unterstützt von medico international, an der Verbesserung von Arbeits- und Lebensverhältnissen in Pakistan. In ihrem Streben nach Gerechtigkeit stehen medico international und die Menschenrechtsorganisation ECCHR fest an ihrer Seite.

Die Schadensersatzforderungen der 43 Bäuer:innen gegen RWE und Heidelberg Materials sind auch im Kontext der Auseinandersetzungen um Klimagerechtigkeit in Pakistan zu sehen. Menschen in Pakistan kämpfen auf unterschiedliche Weise für die Erhaltung ihrer Lebensgrundlagen. Sie verbinden das juristische Vorgehen mit politischen Forderungen nach Unterstützung des Wiederaufbaus, Fragen von Ernährungssouveränität und Schuldenerlass.

Die Bäuer:innen sind direkt betroffen von der Veränderung ihrer Lebensverhältnisse und der schleichenden Verunmöglichung von Leben in ihrer Region. Wenn es für sie keine Gerechtigkeit gibt, werden auch ihre Zukunftsperspektiven immer schlechter.

Gleichzeitig wissen sie darum, dass auch ihre Dörfer nur einige von vielen weltweit sind, die ähnlichen Verheerungen im Kontext der Klimakrise ausgesetzt sind: Viele Menschen in Pakistan und weltweit sind bereits jetzt von den Auswirkungen des auf der Ausbeutung fossiler Energien basierenden zerstörerischen Wirtschaftsmodells und der Klimakrise in ihrer Existenz und ihren Menschenrechten bedroht.

Alle Menschen haben dasselbe Recht auf ein Leben in Selbstbestimmung und Würde und auf eine Umwelt, die ihnen das ermöglicht. Die Auswirkungen der Klimakrise zerstören die Voraussetzungen dafür. Dabei ist die Last von Klimakrisenschäden weltweit alles andere als gleich verteilt: Diejenigen, die am wenigsten zum Klimawandel beigetragen haben, sind oft am stärksten von seinen Auswirkungen betroffen. Hauptverursachende und Profiteure der globalen Erwärmung – wie emissionsstarke Unternehmen und Staaten – sind oft weniger betroffen und verfügen über weitreichendere Möglichkeiten und Mittel sich vor Katastrophen zu schützen.

Die Klimakrise aber ist kein Naturereignis, sie hat Verursacher und Profiteure, die Verantwortung für ihr Handeln übernehmen müssen. Das Verursacherprinzip ernst zu nehmen heißt, dass sie es sind, die eine besonders große Verantwortung für rasche und erhebliche Emissionsreduktionen sowie für die Folgen der Klimakrise zu tragen haben. Das meint materielle wie immaterielle Schäden oder klimabedingte Menschenrechtsverletzungen. Klimagerechtigkeit bedeutet auch, dass sich die Strukturen, die Ungerechtigkeit hervorbringen, nicht weiter fortsetzen.

Der Klima Kosten Fall ist Teil einer wachsenden weltweiten Bewegung für Klimagerechtigkeit. So wurden bereits mehrere Verfahren gegen Großemittenten – Carbon Majors – eingereicht, die auf Klimareparationen gerichtet sind.

Zuletzt reichte am 23. Oktober 2025 eine Gruppe von 67 Filipinos in Großbritannien Klage gegen Shell ein. Sie fordern Entschädigungen für die während des Taifuns Odette 2021 verlorenen Häuser, Lebensgrundlagen und Menschenleben. Es handelt sich um eine beispiellose Klage in Großbritannien und weltweit: Zum ersten Mal wird darin ein direkter Zusammenhang zwischen umweltverschmutzenden Unternehmen und bereits eingetretenen Todesfällen und Personenschäden im Globalen Süden hergestellt.

Das ECCHR unterstützt bereits Bewohner:innen der indonesischen Insel Pari, die Klage gegen HOLCIM in der Schweiz eingereicht haben. Hier ist nach der Gerichtsverhandlung in Zug am 3. September 2025 eine Entscheidung über die Zulässigkeit zu erwarten.

In Belgien hat ein Landwirt Klage gegen TotalEnergies wegen klimabedingter Schäden eingereicht. Er fordert das Gericht auf TotalEnergies dazu zu verpflichten, den entstandenen Schaden zu beheben und einen finanziellen Beitrag zum ökologischen Wandel zu leisten. Darüber hinaus fordert er die Richter*innen auf, das Unternehmen dazu zu verpflichten, aus den fossilen Brennstoffen auszusteigen, um künftige Schäden zu verhindern.

In Deutschland bestätigte das Urteil vom 28. Mai 2025 im Fall Saúl Luciano Lliuya gegen RWE den Rechtsgrundsatz, dass große Emittenten für klimabedingte Schäden im Ausland haftbar gemacht werden können.

Die Schadensersatzforderung gegenüber Großemittenten kann eine politische Lösung der Frage von Verlusten und Schäden infolge der Klimakrise nicht ersetzen. Die Politik hat die Aufgabe, Rahmenbedingungen zu schaffen, die Unternehmen gesetzlich auf die Abgabe von Mitteln für durch sie hervorgerufene Klimaschäden verpflichten. Ein globaler Rechtsrahmen für Klimagerechtigkeit ist deswegen unerlässlich. 

In diesem Sinne ist die Einrichtung eines globalen Fonds für Klimaschäden zwar ein historischer Schritt, doch voraussichtlich werden nur Staaten in den Fonds einzahlen und das auf freiwilliger Basis. Gleichzeitig ist noch unklar, wie die Mittel tatsächlich an die Betroffenen ausgezahlt werden. Die am stärksten betroffenen Staaten und Gemeinden haben bislang keinen Cent für ihre Verluste gesehen. 

Neben der globalen Ebene müssen auch die Nationalstaaten die Einhaltung der Klimaziele durchsetzen, Emissionen reduzieren und die Unternehmen in die Pflicht nehmen.

Solidarität ist wichtig. Die pakistanischen Bäuer:innen können sie in ihrer beginnenden Auseinandersetzung mit RWE und Heidelberg Materials gut gebrauchen. 

Ihr Land ist zwar besonders schlimm von den Folgen der Klimakrise betroffen, gleichzeitig wissen sie darum, dass es auch viele andere Betroffene gibt. Mit ihrer Forderung stehen sie deswegen für mehr als nur für sich selbst. In diesem Sinne freuen sie sich auch andersherum über Solidarität.

Es hilft ihnen, wenn Menschen, Initiativen und Organisationen ihren Fall aufgreifen, über ihn sprechen und ihr Anliegen weiterverbreiten.

Die unterstützenden Organisationen in Deutschland, medico international und ECCHR, stehen für Veranstaltungen zur Verfügung.

Material zum Fall kann in englischer und deutscher Sprache kostenlos bestellt oder auf Social Media geteilt werden.

Auch mit einer Spende kannst du den Fall unterstützen. Damit stärkst du gleichzeitig die Arbeit von medico international in Pakistan für gemeindeorientierte Klimaanpassungsmaßnahmen, Klimabildung und Wiederaufbaumaßnahmen.