Skip to main navigation Zum Hauptinhalt springen Skip to page footer

RWE und Heidelberg Materials: Geschichte der Verantwortungs­losigkeit

Gegen wen richtet sich der Anspruch?

Die Schadensersatzforderungen richten sich gegen RWE, einen der größten Stromerzeuger Europas, und Heidelberg Materials, einen der weltweit größten Zementhersteller. Sie sind nicht nur Branchenführer, sondern auch führend bei den Treibhausgasemissionen. Seit 1965 hat RWE mindestens 0,68 Prozent und Heidelberg Materials mindestens 0,12 Prozent zu den weltweiten industriellen Treibhausgasemissionen beigetragen.

Seit ihrer Gründung im 19. Jahrhundert stehen beide Unternehmen für ein Wirtschaftsmodell, das rücksichtslos Profite durch die Auslagerung sozialer und ökologischer Kosten generiert. Obwohl der Zusammenhang zwischen ihrer Wirtschaftstätigkeit und deren zerstörerischen Auswirkungen seit sechs Jahrzehnten bewiesen ist, setzen RWE und Heidelberg Materials ihre Produktion unbeirrt fort und heizen die Klimakrise so weiter an. Die Unternehmen kommen damit ihrer Sorgfaltspflicht gegenüber Mensch und Umwelt nicht nach.

Die RWE AG und Heidelberg Materials (ehemals Heidelberg Cement) haben seit ihrer Gründung bis heute jeweils mehrere Milliarden Tonnen CO₂ ausgestoßen.
 

Emissionen aber, die an einem Ort der Welt ausgestoßen werden, machen nicht an Grenzen halt und wirken global – oft unverhältnismäßig stark zu Lasten der Länder des globalen Südens. Ihre Wirkung entfaltet sich nicht sofort, sondern erst nach Jahren bis Jahrzehnten. Und während sich der Himmel über dem Ruhrgebiet längst wieder aufgeklart hat, kämpfen die Menschen in Pakistan noch immer mit den Folgen.

Nun wollen die betroffenen Bäuer:innen diejenigen, die maßgeblich zu den erlittenen Schäden beigetragen haben, für einen angemessenen Anteil der Kosten zur Verantwortung ziehen.

RWE

Seit 1898 macht RWE Gewinn mit der Stromerzeugung durch die Verbrennung von fossilen Energieträgern wie Kohle, Gas und Erdöl. RWE steht wie kaum ein anderes Unternehmen für das europäische Modell der Industrialisierung. Jahrzehntelang war der Himmel im Ruhrgebiet grau und rußig vom Ausstoß der RWE-Kraftwerke. Die Gesundheit der Anwohner:innen und Beschäftigten war massiv beeinträchtigt.

Seit 1965, so das Oberlandesgericht Hamm in seinem Urteil vom 28.Mai 2025, kennt RWE die Konsequenzen von Treibhausgasemissionen auf das weltweite Klima und den Zusammenhang mit Erderhitzung und Extremwetterereignissen. Doch obwohl die IPCC-Berichte seit 1992 vor der Klimakrise warnen, hat RWE erst 2006 den menschengemachten Klimawandel offiziell anerkannt – allerdings ohne Konsequenzen für das Geschäftsmodell. Noch immer ist RWE einer der größten CO₂-Emittenten Europas. Bis 2020 stammte etwa ein Viertel des von RWE produzierten Stroms aus schmutziger Braunkohle.

Heidelberg Materials

Seit 1873 produziert Heidelberg Materials Zement und andere Baustoffe und profitiert dabei von der riesigen Nachfrage nach Beton als universeller Baustoff für Industrie- und Bauprojekte. Seit den frühen 1970er Jahren ist wissenschaftlich belegt, dass Beton und insbesondere die Zementherstellung große Mengen an Emissionen freisetzen und erhebliche klimaschädliche Auswirkungen haben.

Auch vom Weltklimarat wurde diese Erkenntnis 1995 in seinem zweiten Sachstandsbericht ausdrücklich bestätigt. Obwohl damit die Klimaschädlichkeit der Zementproduktion seit Jahrzehnten öffentlich dokumentiert ist, verabschiedete Heidelberg Materials erst im Jahr 2018 eine so genannte formelle Climate Policy. Gleichzeitig betreibt das Unternehmen weiterhin Lobbyarbeit gegen eine substantielle Klimapolitik. Mit der Unterzeichnung der Antwerpener Erklärung von Anfang 2024 hat es sich gegen verbindliche Vorschriften zur Dekarbonisierung der europäischen Industrie positioniert.

Meldungen und Beiträge

Betroffene von der Flut in Pakistan 2022

Selektive Wahrnehmung

22.10.2025

Die bislang wohl größte durch die Klimaveränderung hervorgerufene Katastrophe hat ein Drittel Pakistans unter Wasser gesetzt und die Existenzen von vielen Millionen Menschen zerstört. Ein Fanal? Nein, die Welt hat weggeschaut. Eine Spurensuche zu…

Ein Junge läuft durch das inzwischen trockene Bett einer Schlammlawine.

Extremwetter als Normalzustand

03.09.2025

Pakistan: Überflutete Dörfer, ausgetrocknete Böden, Menschen auf der Flucht – die Klimakrise ist omnipräsent und doch droht diese in der Flut weltweiter Kriegs- und Krisenberichterstattung unterzugehen.

Demonstration für Klimagerechtigkeit (Foto: Pacific Island Students fighting for Climate Justice)

Klimaschutz ist Menschenrecht

26.07.2025

Laut UN Gerichtshof sind Staaten für ein intaktes Klima völkerrechtlich verantwortlich. Ein Meilenstein für die Forderung nach globaler Klimagerechtigkeit. Kommentar von Karin Zennig

Demonstration für Klimagerechtigkeit

Der Weg zur globalen Verantwortung

03.07.2025

Interwiew: Wie ein Gutachten des Internationalen Gerichtshofs den Kampf um Klimagerechtigkeit stärken soll.

Cara New Daggett

Man muss das autoritäre Begehren begreifen

30.06.2025

Klimakrise, Männlichkeit und der neue Autoritarismus. Ein Gespräch mit Cara Daggett

Zwei Männer auf einem Floss auf einem überschwemmten Feld in Pakistan 2022.

Was heißt Hinsehen?

30.06.2025

Über die Rolle der Medien beim Verschwindenlassen der Welt. Von Andrea Böhm

Aktion gegen das Kohlekraftwerk Moorburg.

RWE ist verantwortlich

28.05.2025

Der Kampf für Klimagerechtigkeit hat einen wichtigen Punktsieg errungen. Kommentar von Karin Zennig

Fragen zum Fall

Es geht in dem Fall um Gerechtigkeit für die 43 Bäuer:innen. Sie verlangen finanzielle Entschädigung für die konkreten Schäden, die sie erlitten haben. Die Verwüstungen infolge der Überschwemmungen in Pakistan 2022 sind ein dramatisches Beispiel für das Ausmaß, das klimabedingte Schäden für die Einzelnen und die Gesellschaft darstellen. Die Schadenersatzforderung der Bäuer:innen aus Pakistan macht die Perspektive der am meisten von der Klimakrise betroffenen Menschen sichtbar und bringt ihren Kampf für Gerechtigkeit nach Deutschland, zu den Verursachern.

Sie fordern eine Anerkennung und Kompensation ihrer klimabedingten Verluste und die rechtliche Feststellung der Verantwortlichkeit von RWE und Heidelberg Materials für die Schäden. Sie bringen eine weitere, wichtige Perspektive in die weltweiten Bemühungen um Klimagerechtigkeit. Große Emittenten müssen Verantwortung übernehmen für die Folgen der von ihnen verursachten Schäden im Zuge der Klimakrise.

Die Forderung richtet sich gegen RWE, einen der größten Stromerzeuger Europas, und Heidelberg Materials, einen der größten Zementhersteller weltweit.

Der Begriff „Carbon Majors” bezieht sich auf Unternehmen, die erheblich zur Klimakrise beigetragen haben. Der Begriff wurde durch Studien des Climate Accountability Institute geprägt, die ergaben, dass etwas mehr als 100 Unternehmen für fast 70 Prozent der weltweiten historischen industriellen Treibhausgasemissionen verantwortlich sind. RWE und Heidelberg Materials sind zwei davon. Als Carbon Majors sind sie für einen erheblichen Anteil der weltweiten industriellen Treibhausgasemissionen verantwortlich.

Historisch betrachtet zählen beide Unternehmen zu den weltweit größten CO₂-Emittenten und Umweltverschmutzern mit Hauptsitz und bedeutenden Geschäftstätigkeit in Deutschland. Die neuesten Studien, die die Carbon-Majors-Methodik verwenden, zeigen, dass RWE für mindestens 0,68 Prozent und Heidelberg Materials für 0,12 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen seit 1965 verantwortlich ist.

Bislang konnten sich große Unternehmen, die erhebliche Emissionen verursachen, einer echten Rechenschaftspflicht entziehen. Die einzige Möglichkeit, um sicherzustellen, dass diejenigen, die maßgeblich zur Krise beigetragen haben, ihren gerechten Anteil an den Kosten tragen, anstatt diese vollständig den betroffenen Gemeinden aufzubürden, ist, sie vor Gericht zur Verantwortung zu ziehen.

Die grundsätzliche Möglichkeit der Haftung von Unternehmen für klimabedingte Schäden im Ausland hatte im Mai 2025 bereits der peruanische Bergbauer Luciano Lluiya im Verfahren vor dem Oberlandesgericht Hamm erstritten (alle Unterlagen hier: Bahnbrechendes Urteil in der Klimaklage gegen RWE | Germanwatch e.V.). Nun fordern Bäuer:innen aus Pakistan erstmalig Schadensersatz ein.

Alle betroffenen Bäuer:innen stammen aus der Provinz Sindh, der Region im Süden Pakistans, die am stärksten von den beispiellosen Überschwemmungen des Jahres 2022 betroffen war. Sie leben in drei verschiedenen Bezirken: Jacobabad, Dadu und Larkana. Sie leben von den Ernten, die sie auf ihren kleinen Parzellen erwirtschaften und kämpfen um ihre Unabhängigkeit von Großgrundbesitzern und Landwirtschaftskonzernen. Seit Jahren sind sie Wetterveränderungen und der Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen durch den Klimawandel ausgesetzt.

Die 43 Bäuer:innen, die Schadenersatz von RWE und Heidelberg Materials fordern, werden von 10.000 Bäuer:innen aus ihren Dorfgemeinschaften unterstützt. Ihr Kampf für Klimagerechtigkeit verdeutlicht die Situation von 33 Millionen von der Flutkatastrophe 2022 Betroffenen in Pakistan sowie vieler weiteren Gemeinschaften, die weltweit jetzt schon von der Klimakrise betroffen sind.

Nicht nur die 43 Bäuer:innen in Pakistan fordern, dass RWE und Heidelberg Materials Verantwortung für ihren Anteil am entstandenen Schaden übernehmen. Über 10.000 Menschen in ihren Dörfern stehen hinter ihnen. Vor Ort werden sie von der sozialmedizinischen Hilfsorganisation HANDS Welfare Foundation und dem Gewerkschaftsverband NTUF unterstützt. Die National Trade Union Federation (NTUF) stärkt Bäuer:innen in Konflikten um Land- und Arbeitsrechte. HANDS Welfare Foundation arbeitet in den Gemeinden im ländlichen Sindh an der Umstellung auf klimaangepasste Landwirtschaft und unterstützt dörfliche Selbstorganisierung.

Seit Jahrzehnten arbeiten beide Organisationen, unterstützt von medico international, an der Verbesserung von Arbeits- und Lebensverhältnissen in Pakistan. In ihrem Streben nach Gerechtigkeit stehen medico international und die Menschenrechtsorganisation ECCHR fest an ihrer Seite.

Die Schadensersatzforderungen der 43 Bäuer:innen gegen RWE und Heidelberg Materials sind auch im Kontext der Auseinandersetzungen um Klimagerechtigkeit in Pakistan zu sehen. Menschen in Pakistan kämpfen auf unterschiedliche Weise für die Erhaltung ihrer Lebensgrundlagen. Sie verbinden das juristische Vorgehen mit politischen Forderungen nach Unterstützung des Wiederaufbaus, Fragen von Ernährungssouveränität und Schuldenerlass.

Die Bäuer:innen sind direkt betroffen von der Veränderung ihrer Lebensverhältnisse und der schleichenden Verunmöglichung von Leben in ihrer Region. Wenn es für sie keine Gerechtigkeit gibt, werden auch ihre Zukunftsperspektiven immer schlechter.

Gleichzeitig wissen sie darum, dass auch ihre Dörfer nur einige von vielen weltweit sind, die ähnlichen Verheerungen im Kontext der Klimakrise ausgesetzt sind: Viele Menschen in Pakistan und weltweit sind bereits jetzt von den Auswirkungen des auf der Ausbeutung fossiler Energien basierenden zerstörerischen Wirtschaftsmodells und der Klimakrise in ihrer Existenz und ihren Menschenrechten bedroht.

Alle Menschen haben dasselbe Recht auf ein Leben in Selbstbestimmung und Würde und auf eine Umwelt, die ihnen das ermöglicht. Die Auswirkungen der Klimakrise zerstören die Voraussetzungen dafür. Dabei ist die Last von Klimakrisenschäden weltweit alles andere als gleich verteilt: Diejenigen, die am wenigsten zum Klimawandel beigetragen haben, sind oft am stärksten von seinen Auswirkungen betroffen. Hauptverursachende und Profiteure der globalen Erwärmung – wie emissionsstarke Unternehmen und Staaten – sind oft weniger betroffen und verfügen über weitreichendere Möglichkeiten und Mittel sich vor Katastrophen zu schützen.

Die Klimakrise aber ist kein Naturereignis, sie hat Verursacher und Profiteure, die Verantwortung für ihr Handeln übernehmen müssen. Das Verursacherprinzip ernst zu nehmen heißt, dass sie es sind, die eine besonders große Verantwortung für rasche und erhebliche Emissionsreduktionen sowie für die Folgen der Klimakrise zu tragen haben. Das meint materielle wie immaterielle Schäden oder klimabedingte Menschenrechtsverletzungen. Klimagerechtigkeit bedeutet auch, dass sich die Strukturen, die Ungerechtigkeit hervorbringen, nicht weiter fortsetzen.

Der Klima Kosten Fall ist Teil einer wachsenden weltweiten Bewegung für Klimagerechtigkeit. So wurden bereits mehrere Verfahren gegen Großemittenten – Carbon Majors – eingereicht, die auf Klimareparationen gerichtet sind.

Zuletzt reichte am 23. Oktober 2025 eine Gruppe von 67 Filipinos in Großbritannien Klage gegen Shell ein. Sie fordern Entschädigungen für die während des Taifuns Odette 2021 verlorenen Häuser, Lebensgrundlagen und Menschenleben. Es handelt sich um eine beispiellose Klage in Großbritannien und weltweit: Zum ersten Mal wird darin ein direkter Zusammenhang zwischen umweltverschmutzenden Unternehmen und bereits eingetretenen Todesfällen und Personenschäden im Globalen Süden hergestellt.

Das ECCHR unterstützt bereits Bewohner:innen der indonesischen Insel Pari, die Klage gegen HOLCIM in der Schweiz eingereicht haben. Hier ist nach der Gerichtsverhandlung in Zug am 3. September 2025 eine Entscheidung über die Zulässigkeit zu erwarten.

In Belgien hat ein Landwirt Klage gegen TotalEnergies wegen klimabedingter Schäden eingereicht. Er fordert das Gericht auf TotalEnergies dazu zu verpflichten, den entstandenen Schaden zu beheben und einen finanziellen Beitrag zum ökologischen Wandel zu leisten. Darüber hinaus fordert er die Richter*innen auf, das Unternehmen dazu zu verpflichten, aus den fossilen Brennstoffen auszusteigen, um künftige Schäden zu verhindern.

In Deutschland bestätigte das Urteil vom 28. Mai 2025 im Fall Saúl Luciano Lliuya gegen RWE den Rechtsgrundsatz, dass große Emittenten für klimabedingte Schäden im Ausland haftbar gemacht werden können.

Die Schadensersatzforderung gegenüber Großemittenten kann eine politische Lösung der Frage von Verlusten und Schäden infolge der Klimakrise nicht ersetzen. Die Politik hat die Aufgabe, Rahmenbedingungen zu schaffen, die Unternehmen gesetzlich auf die Abgabe von Mitteln für durch sie hervorgerufene Klimaschäden verpflichten. Ein globaler Rechtsrahmen für Klimagerechtigkeit ist deswegen unerlässlich. 

In diesem Sinne ist die Einrichtung eines globalen Fonds für Klimaschäden zwar ein historischer Schritt, doch voraussichtlich werden nur Staaten in den Fonds einzahlen und das auf freiwilliger Basis. Gleichzeitig ist noch unklar, wie die Mittel tatsächlich an die Betroffenen ausgezahlt werden. Die am stärksten betroffenen Staaten und Gemeinden haben bislang keinen Cent für ihre Verluste gesehen. 

Neben der globalen Ebene müssen auch die Nationalstaaten die Einhaltung der Klimaziele durchsetzen, Emissionen reduzieren und die Unternehmen in die Pflicht nehmen.

Solidarität ist wichtig. Die pakistanischen Bäuer:innen können sie in ihrer beginnenden Auseinandersetzung mit RWE und Heidelberg Materials gut gebrauchen. 

Ihr Land ist zwar besonders schlimm von den Folgen der Klimakrise betroffen, gleichzeitig wissen sie darum, dass es auch viele andere Betroffene gibt. Mit ihrer Forderung stehen sie deswegen für mehr als nur für sich selbst. In diesem Sinne freuen sie sich auch andersherum über Solidarität.

Es hilft ihnen, wenn Menschen, Initiativen und Organisationen ihren Fall aufgreifen, über ihn sprechen und ihr Anliegen weiterverbreiten.

Die unterstützenden Organisationen in Deutschland, medico international und ECCHR, stehen für Veranstaltungen zur Verfügung.

Material zum Fall kann in englischer und deutscher Sprache kostenlos bestellt oder auf Social Media geteilt werden.

Auch mit einer Spende kannst du den Fall unterstützen. Damit stärkst du gleichzeitig die Arbeit von medico international in Pakistan für gemeindeorientierte Klimaanpassungsmaßnahmen, Klimabildung und Wiederaufbaumaßnahmen.